Segmentale Zuordnung – Übersicht für die klinische Praxis
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Diese klinische Zusammenfassung wurde von Tim van Buitenen, B.Sc., Physiotherapeut, mit fachlicher Erfahrung und KI-Unterstützung erstellt (Stand: Oktober 2025). Es dient ausschliesslich der kompakten Zusammenfassung praxisrelevanter Informationen für Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten als schnelle Orientierung im Alltag und ersetzt keine medizinische Diagnose oder Behandlung. Eine ärztliche Abklärung ist zwingend erforderlich bei Verdacht auf ernsthafte Ursachen oder Red Flags.
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Segmentale Zuordnung – Übersicht für die klinische Praxis
Diese Seite bietet eine schnelle, praxisnahe Orientierung – kein Lehrbuch, sondern ein Werkzeug. Sie unterstützt dabei, Symptome funktionell einzuordnen und segmentale Zusammenhänge besser zu erkennen.
Das Nervensystem ist segmental organisiert:
- Haut (Dermatom),
- Muskulatur (Myotom),
- Gelenke und Faszien (Sklerotom),
- innere Organe (Viszerotom),
- kraniale und zervikale Felder (trigeminale Innervation V1–V3 / C2–C3)
Die folgende Übersicht fasst diese Systeme kompakt zusammen.
Dermatom

Zuschreibung: Cmdrjameson, Gemeinfrei, über Wikimedia Commons.
Quelle: Neoplastic Lumbosacral Plexopathy, Copyright © 2025, StatPearls Publishing LLC.
Myotom
Myotom (C1–S2)
Wichtige Widerstandstests und Reflexe zur schnellen Untersuchung.
Zervikaler Plexus (C1–C4)
C1–C2 – Kopfrotation und -flexion/extension - Widerstand gegen Kopfrotation und -flexion/extension
C3 – Seitneigung Hals - SCM, oberer Trapezius
C4 – Schulterhebung, Atmung (N. phrenicus, C3–C5) - Levator scapulae
Brachialer Plexus (C5–T1)
C5 – Schulterabduktion, Ellenbogenflexion - Deltoid, Bizepsreflex (primär C5)
C6 – Handgelenksextension - Brachioradialisreflex
C7 – Ellenbogenextension - Trizepsreflex
C8 – Fingerbeugung - Flexor digitorum profundus/superficialis
T1 – Fingerabduktion - Interossei, Lumbricales
Thorakaler Bereich (T2–T12)
T2–T6 – Segmentale Rumpfstabilität, Atmung
T7–T12 – Rumpfbeugung und -rotation
Lumbaler Plexus (L1–L4)
L1–L2 – Hüftflexion - Iliopsoas
L3 – Kniestreckung - Quadriceps, Patellarsehnenreflex
L4 – Dorsalflexion, Inversion - Tibialis anterior
Lumbosakraler Plexus (L4–S4)
L5 – Grosszehenstreckung, Hüftabduktion - EHL, Gluteus medius
S1 – Plantarflexion, Eversion - Gastrocnemius, Achillessehnenreflex
S2 – Kniebeugung - Hamstrings
S3–S4 – Beckenbodenfunktion
Sklerotom
Strukturtyp: Skelettal / Bindegewebig
Gewebe: Knochen, Gelenke, Faszien
Funktion:
Überträgt tiefe somatische Reize aus Gelenken, Knochen und Faszien.
Schmerzcharakter:
Dumpf, tief, schlecht lokalisierbar – häufig ausstrahlend, ohne klare dermatomartige Grenzen.
Beispiel:
L5/S1 – Facettengelenkschmerz mit Ausstrahlung ins Gesäß.
Sklerotom-Übersicht (C1–S2)
C1–C2 Hinterkopf, oberer Nacken
C3 Mastoidregion, oberer Trapezius
C4 Schultergürtel, Akromion
C5 Lateraler Oberarm
C6 Lateraler Unterarm, Daumenbasis
C7 Dorsaler Unterarm, Handrücken
C8 Ulnare Handkante
T2–T6 Skapularegion, Brustwand
T7–T12 Flanken, untere Rippen
L1–L2 Leiste, vorderer Oberschenkel
L3 Knie, medialer Oberschenkel
L4 Medialer Unterschenkel, Knöchel
L5 Lateraler Unterschenkel, Fußrücken
S1 Hinterer Oberschenkel, Ferse
S2 Ischialregion
S3–S4 Kreuzbein, Beckenboden
Praktischer Nutzen:
Hilfreich bei unspezifischen Rückenschmerzen, ISG- oder Facettengelenksdysfunktionen und chronischen Faszienschmerzen.
Wenn kein klares dermatomales oder motorisches Muster passt, deutet der Schmerz meist auf ein Sklerotom hin.
Viszerotom
Strukturtyp: Viszeral
Gewebe: Innere Organe
Funktion:
Autonome und sensible Innervation der Organe.
Verbindet Organreize mit somatischen Schmerzarealen.
Klinische Hinweise:
Übertragene viszerale Schmerzen oder vegetative Symptome wie Übelkeit, Schwitzen, Blässe.
C3–C5: Keine direkte viszerale Zuordnung; sensorische Innervation des Pharynx und Larynx primär über kraniale Nerven (N. glossopharyngeus, N. vagus).
C5–T1: Herz (Perikard, Koronargefäße) - Sympathische Innervation; referred pain bei Angina pectoris.
T1–T4: Lunge, Bronchien, Pleura - Atemkontrolle; asthmaassoziierte referred pain.
T4–T6: Ösophagus (mittlerer/unterer), Leber, Gallenblase, Magen (Fundus) - Oberer Gastrointestinaltrakt; Gallenstein-Schmerzen strahlen oft hierhin aus.
T6–T9: Magen (Corpus/Pylorus), Duodenum, Pankreas, Milz - Verdauung; Schmerzen bei Magengeschwüren.
T9–T11: Dünndarm (Jejunum, Ileum), aufsteigender/querverlaufender Dickdarm - Mitteldarm-Derivate; Appendizitis-Schmerzen (primär T10–T11, mögliche Ausstrahlung in benachbarte Segmente).
T12–L1: Absteigender Dickdarm, Nieren, Harnleiter, Nebennieren - Nierenkolik; unterer Dickdarm.
L1–L2: Uterus (oberer), Eierstöcke (bei Frauen); Prostata/Samenbläschen (bei Männern) - Reproduktiv; Dysmenorrhö-Schmerzen.
L2–L4: Blase (Detrusor), Harnröhre; Uterus (unterer, Zervix) - Miktion; Zystitis-Schmerzen.
S2–S4: Rektum, Anus, Blase (Trigonum), untere Harnröhre; Uterus/Vagina (bei Frauen) - Parasympathisch; Defäkation, sexuelle Funktion.
Kraniale und zervikale Nervenfelder (V1–V3 / C2–C3)
- Kraniale Nervenfelder (Hirnnerven CN I–XII) und bestimmte zervikale Nerven unterscheiden sich von spinalen Dermatomen und Myotomen, da sie nicht segmentalen Mustern folgen. Sie können Schmerzen oder Symptome verursachen, die mit spinalen Problemen verwechselt werden. Hier sind die für Physiotherapeuten wichtigsten Nerven, ihre klinische Relevanz und einfache Interventionen zur Schmerzlinderung:
N. trigeminus (V1–V3)
- Funktion: Sensorisch für das Gesicht (Stirn, Wangen, Kinn) und motorisch für die Kaumuskulatur (z. B. M. masseter).
- Regionen:
- V1: Stirn, oberes Augenlid.
- V2: Wangen, obere Lippe.
- V3: Kinn, Unterkiefer, Kaumuskulatur.
- Klinische Relevanz: Schmerzen oder Dysfunktionen können auf Spannungskopfschmerzen (z. B. durch verspannte Kaumuskeln), Kiefergelenksdysfunktion (TMD) oder Sinusitis (z. B. Schmerzen im Wangenbereich bei Sinusitis maxillaris) hinweisen.
- Intervention: Sanfte Massage der Kaumuskeln (M. masseter, M. temporalis) oder Kiefermobilisationsübungen (z. B. kontrolliertes Öffnen/Schließen des Mundes), um Muskelspannung zu reduzieren und TMD-bedingte Schmerzen zu lindern.
N. facialis (VII)
- Funktion: Steuert die mimische Muskulatur (z. B. Lächeln, Augenschließen).
- Klinische Relevanz: Wichtig bei einseitiger Schwäche, z. B. bei peripherer Fazialisparese (Bell’s Palsy), erkennbar durch asymmetrisches Lächeln oder Schwierigkeiten beim Augenschließen.
- Intervention: Geführte mimische Übungen (z. B. Stirnrunzeln, Wangenaufblasen, Lippen spitzen) vor einem Spiegel, um die Muskelfunktion zu fördern und Spannung im Gesicht zu lösen.
N. accessorius (XI)
- Funktion: Motorisch für M. sternocleidomastoideus (Kopfrotation, -flexion) und M. trapezius (Schulterhebung, Scapularetraktion). Kein Dermatom oder Myotom, da es ein Hirnnerv ist, trotz Ursprung in zervikalen Segmenten (C1–C5).
- Klinische Relevanz: Schwäche zeigt sich bei eingeschränktem Schulterzucken oder Kopfrotation gegen Widerstand. Häufig bei verspanntem Trapezius oder Nackenbeschwerden.
- Intervention: Sanfte Dehnung des M. trapezius (z. B. Ohr-zu-Schulter-Dehnung) oder isometrische Kräftigungsübungen (z. B. leichter Widerstand gegen Schulterhebung), um Verspannungen zu lösen und die Beweglichkeit zu verbessern.
N. occipitalis major/minor (C2–C3)
- Funktion: Sensorisch für den Hinterkopf und oberen Nacken (Dermatome C2–C3). Kein Hirnnerv, sondern spinale Nerven, die eine Übergangszone zwischen Kopf und Nacken bilden.
- Klinische Relevanz: Häufig bei okzipitalen Kopfschmerzen, z. B. durch verspannte Nackenmuskulatur oder C2–C3-Facettengelenksprobleme.
- Intervention: Manuelle Mobilisation der oberen Halswirbelsäule (z. B. sanfte Rotation oder Seitneigung) oder subokzipitale Entspannungstechniken (leichter Druck unter dem Hinterkopf), um Spannung und Schmerzen zu lindern.
Hinweis zur klinischen Verantwortung
Auch wenn es für uns Therapeutinnen und Therapeuten faszinierend ist, die genaue Quelle eines Schmerzes zu identifizieren – bei komplexen oder ungewöhnlichen Befunden gilt: nicht alles lässt sich muskulär, neural oder faszial erklären.
Wenn die Beschwerden sich nicht in das funktionelle Gesamtbild einordnen lassen oder mehrere Systeme gleichzeitig betroffen sind, ist eine ärztliche Abklärung im Spital der sicherere Weg.
Zur Erinnerung – wichtige Red Flags:
-
Reithosen-Parästhesie (Sattelbereich)
-
Neu auftretende Blasen- oder Darmentleerungsstörungen
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Unerklärter Gewichtsverlust oder -zunahme
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Bewegungsunabhängiger, nächtlicher oder zunehmender Schmerz
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Fieber oder Nachtschweiß
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Neu auftretende Übelkeit, Schwindel oder Bewusstseinsveränderungen
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Persistierende oder progrediente neurologische Ausfälle (Kraft, Sensibilität, Reflexe)
-
Schmerz nach Trauma mit strukturellem Verdacht (z. B. Fraktur, Bandscheibe, Gefäß)
-
Unklare viszerale Symptome (z. B. Druckgefühl Brust, Oberbauch, Flanke)
-
Systemische Vorerkrankungen (Krebs, Infektion, Immunsuppression)
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